Bericht

Einmal Hiddensee und zurück - 2008

                      Oder wie man als Kanalruderer              süchtig auf Windstärke 5 werden kann



Ihr rudert wo? Auf der Ostsee? Ja, seid Ihr denn verrückt? …fragten unsere Erlanger (Ruder-)Freunde und Kollegen.

Naja, das trifft’s vielleicht nicht ganz, aber alltäglich ist es nicht, wenn sich zwei mittelfränkische Kanalruderer für eine Wanderfahrt auf der Ostsee anmelden. Von Stralsund aus einmal um Hiddensee herum und zurück nach Stralsund. Bei bis zu Windstärke 5. Um es gleich vorweg zu nehmen: Es war das bisher schönste Rudererlebnis unserer Wanderruderer-Karriere! Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Zum Ostseerudern.



Samstag, 12:30 Uhr: Am Steg des Stralsunder Ruderclubs lassen wir zwei Seegigs zu Wasser. Ruhiger Schiebewind begleitet uns durch den Strelasund und den Kubitzer Bodden bis Barhöft, wo wir die erste Pause an Land einlegen. Ein kurzes Gewitter zieht durch, es soll der einzige Regen an den drei Tagen bleiben.

Samstag, 15:00 Uhr: Wir legen wieder ab und gelangen nach einer guten halben Stunde auf die offene See. An der Westküste von Hiddensee entlang fahren wir nordwärts. Der Wind hat sich gedreht und trifft uns jetzt backbord; er bläst und bläst und gibt sich reichlich Mühe, zu zeigen, was er heute noch alles draufhat. Fahrtenleiter Uwe Dünze von der Ruderriege des TV Waidmannslust Berlin mit Günter von Tegelort und Georg aus Erlangen sitzen im Inrigger-Riemenboot. Es schaukelt zwar und übernimmt Wasser, aber mit den Riemen lässt es sich trotzdem noch recht koordiniert und gleichmäßig rudern.

Schließlich sind diese Inrigger für genau solche Wasserverhältnisse gebaut: geschlossene Schotten in Bug und Heck für den Auftrieb mit Luke fürs Gepäck. Der Bootskörper ist extra breit und der Stabilität wegen längs wellenförmig den Klinkerbooten nachgebaut. Der eine Ruderer sitzt an der Steuerbordwand auf seinem Rollsitz und steckt seinen Riemen direkt auf der Backbord-Bootswand in die Dolle, und der andere rudert versetzt an der anderen Seite.

Etwas anspruchsvoller ist die Übung im Doppeldreier für Co-Leiterin Heike Lehmann von Waidmannslust, Ludmilla von Tegelort, Rolf aus Hildesheim und Sibylle aus Erlangen. Bootskörper und Schotten sind zwar baugleich mit dem Riemenzweier, aber man rollt in der Mitte und hat kurze Ausleger.

Bei Windstärke 5 rudert man ungefähr so: Wenn das Backbordskull gerade Wasser fasst, greift steuerbord in die Luft. Dummerweise ändert sich das mitten im Zug. Den Bugmann hebt’s ab und zu vom Sitz, das Steuer hängt immer mal wieder in der Luft und Wasser schwappt ins Boot… Jeder Zug wird zum Erlebnis. Kein Schlag ist wie der andere. Wir tun unser Bestes, aber Stilrudern ist das schon lange nicht mehr, was wir da veranstalten.

Die Steuerleute schöpfen und steuern und steuern und schöpfen. Sie fahren Zickzack im 45-Grad-Winkel durch die Wellen. Bei jedem Kurswechsel erwischen uns die Wellen volle Breitseite. Schwapp. Wir sind alle Sieben so nass, nasser geht’s nicht. Die Trinkflaschen schwimmen durchs Boot. Irgendwann kommt auch eine Banane am Stemmbrett vorbei. Keine Ahnung, wem sie gehört. Egal, so wie die aussieht, isst die eh keiner mehr. Es schaukelt und spritzt ohne Ende.

Trotzdem, wir haben nicht einen Funken Angst, denn erstens haben Uwe und Heike reichlich Erfahrung und Sicherheit, zweitens kommen wir trotz Zickzack-Kurs gut voran und drittens pustet der Wind auf den Strand zu. Wenn also irgendwas schief ginge – spätestens fünf Minuten später wären wir an Land. Mit Rettungsweste. Außerdem heißt eine der zwingenden Regeln beim Küstenrudern: Wenn nur einer im Boot Angst hat oder nicht mehr kann, wird das nächste Ufer angefahren. Verantwortungslos ist anders.

Samstag, 18:00 Uhr: Bug voran rudern wir senkrecht auf den Strand von Vitte zu. Die Buhnen sind überspült und wir können nur hoffen, dass wir keine treffen. Es geht gut. Beide Boote rudern, bis sie sicher im Sand festsitzen. Wir tragen sie an staunenden Urlaubern vorbei bis zum Dünenrand. Solche komischen Leute haben sie noch nicht gesehen. Und gleich sieben auf einen Streich.

Samstag, 20:30 Uhr: In unserem Hotelschiff „Caprivi“ an der Boddenseite von Vitte, gleich neben dem Hafen, treffen wir uns zum Essen. Gepäck, Skulls und Riemen haben wir an der schmalsten Stelle von Hiddensee rund 500 Meter quer durch den Ort dorthin getragen, die bescheidenen, aber ausreichenden, kleinen Kojen bezogen, uns geduscht, trocken angezogen und die nassen Sachen draußen in den Wind unter ein Dach gehängt. Alle Sieben haben rote Wangen und strahlende Augen.

Sonntag, 09:30 Uhr: Mit Tagesgepäck legen wir vom Strand wieder ab. Heute ist das Wasser ruhiger und die Fahrt um Hiddensee's Nordspitze herum fühlt sich fast an wie auf einem Binnensee. Wenn da nicht der wunderbare Ausblick wäre. Die üppig bewachsene Steilküste der Insel zur einen Seite, die endlose Weite der Ostsee zur anderen, später dann Bodden und Sandbänke zwischen Hiddensee und Rügen. Auf einer Sandbank legen wir eine Ess-, Trink-, Pinkel- und Badepause ein und rudern weiter in einem Bogen um die flachen und vogelgeschützten Gebiete herum. Zum Schluss legen wir die Boote nicht weit von unserem Hotelschiff ans Ostufer auf die Wiese zwischen ein paar Fischerboote.


Sonntag, 16:00 Uhr: Frisch umgezogen leihen wir uns in Vitte Fahrräder. Erst radeln wir zur Nordspitze, dann zum südlichen Leuchtturm hinter Neuendorf. Soviel Wasser und Fernblick, soviel Bewegung an einem Tag, so eine wunderschöne Insel. Und nicht ein einziges Auto, nicht ein einziges mondänes Hotel, kein Schlips, kein Prosecco, kein Stöckelschuh. Einfach nur Luft und Ruhe pur – ein unbezahlbares Geschenk!

Montag, 10:00 Uhr: Rückfahrt nach Stralsund, wieder mit komplettem Gepäck in den Schotten. Wie am Samstag fängt alles ganz harmlos an, aber nach und nach wird der Wind stärker. Wir kreuzen die Fahrrinne und nähern uns Rügen. Plötzlich flitzt ein Windsurfer im Affenzahn an uns vorbei. Huch, noch einer. Und da fliegt uns auch schon ein Schirm wie der eines Paragliders um die Ohren. Unten dran, an langen Leinen, hängt ein Mensch in Neopren, die Füße in den Schlaufen einer Art von Snowboard. Das Brett fegt durchs Wasser, der Mensch scheint freiwillig mitzufegen. Das Internet sagt mir später, das heißt Kitesurfen und man macht das heute so. Als für verrückt erklärte Ruderin frage ich mich kurz, … ach nein, jedem Tierchen sein Pläsierchen.

Die Dichte der Wind- und Kitesurfer nimmt extrem zu, umgekehrt proportional dazu nimmt ihre Zielsicherheit leider ab, je näher wir ihrem Nest kommen: der Surfschule der Rügener Halbinsel Ummanz. Gleich daneben machen wir Mittagspause.

Montag, 13:30 Uhr: Ein letztes Ablegen zwischen Wasserbrettern und  Neoprenfiguren. Die Westküste Rügens hat tiefe Einschnitte und kleine, vorgelagerte Inselchen. Wir rudern außen herum. Und wie es so ist an der See: zum Nachmittag hin wird der Wind noch mal stärker, so auch heute. Zickzack schaukeln wir zurück in den Strelasund. Diesmal werden wir nicht ganz so nass wie am Samstag und die Steuerleute brauchen kaum zu schöpfen. Bananen haben wir auch nicht mehr. Und plötzlich: Kurz vor dem Stralsunder Steg, im Windschatten der hohen Promenadenbäume, ist das Wasser dann ganz sanft und still. War es jemals anders?

Montag, 16:30 Uhr: Drei traumhafte Rudertage sind vorbei und zwei Erlanger sind süchtig geworden: süchtig nach der Weite, dem Wind und den Wellen. Süchtig nach den Herausforderungen der anderen Art, die das Küstenrudern mit sich bringt. Vielleicht stecken wir mit unserer neuen Sucht ja auch Kanal- oder andere Ruderer an. Vielleicht werden sogar diejenigen neugierig, denen bisher kein Boot zu schmal, keine Pulsuhr zu gnadenlos, keine Schlagzahl zu hoch und kein Stil zu sauber war. Verrückt wären sie dann noch lange nicht.

Trotz aller Begeisterung, zu Hause angekommen steigen wir erst mal auf dem Kanal in den Einer. Damit wir wieder skullen lernen, ohne dass mitten im Zug das Wasser weg ist. Das hat schließlich auch einen gewissen Reiz.

Nähere Infos zur beschriebenen Wanderfahrt:
 
www.daenemarkfahrer.de
www.stralsunder-ruderclub.de
www.seebad-hiddensee.de

Danke von allen Teilnehmern.

Die Teilnehmer:

Uwe Dünze, Ludmilla Friedrich, Günter Walther, Rolf Schaefer,

Heike Lehmann, Sibylle Frinken und Georg Töpler


- Bericht von Sibylle Frinken ( Erlanger Wanderrudergesellschaft Franken e.V. )